Eindrücke und Reflektionen von der Frühlingstagung der Internationalen Konferenz vom 25.- 28. Mai 2017 in Italien
Genauer gesprochen sind wir Gäste in der ”Scuola libera Novalis” außerhalb von Conegliano. Auf der Karte findet man das kleine Städtchen nördlich von Venedig, und vor Ort befinden wir uns umgeben vom frischen Grün der Weinberge und Gemüsegärten. Das große Schulgebäude wirkt einladend, durch verschiedene Treppen gelangen wir in unseren Sitzungsraum. Es ist der Eurythmie Saal, der uns 35 Menschen aus 27 Ländern, sowie vielen Tischen und Stühlen Raum gibt
Wenn ich in die Runde schaue, öffnet sich mir die Welt. Denn durch jeden der Kollegen wird ein Kontinent, ein Land, eine Kultur sichtbar wo Waldorfschulen und Kindergärten existieren oder im Aufbau sind. Und näher kommt die große Welt wenn wir voneinander hören, von den Freuden, Nöten und Sorgen mit denen jede Schule täglich lebt.
Es ist das tragende Motiv dieses Kreises ein weltweites Bewusstseinsnetzwerk für eine zeitgemässe Waldorfpädagogik aufzubauen. Diese Vernetzung will bewusst getragen werden, teils aus gegenseitiger Wahrnehmung und einem Bemühen, die Menschenkunde Rudolf Steiners immer wieder neu zu verstehen und zu implementieren. So entstehen Impulse durch gegenseitige Unterstützung in mannigfaltigen Aufgaben. Ein konkretes Beispiel zeigt , dass Kollegen zusammen mit den beiden Sektionsleitern bereits kreuz und quer über Kontinente an Lehrertagungen und Ausbildungen mitwirken.
Ein weiteres wichtiges Anliegen der Konferenz ist, dass der jeweilige Arbeitsinhalt der Treffen die Schulen und Lehrer in aller Welt wirklich erreicht. Der Rundbrief der Pädagogischen Sektion berichtet 4mal jährlich was in der Waldorfwelt aktuell ist, und das in englischer und deutscher Sprache. Wir haben da und dort Übersetzungsarbeit zu leisten!
Eine Zusammenfassung einiger Themen und Beiträge aus der gemeinsamen Arbeit während des Treffens in Conegliano.
„Wir leben in Absurdistan“ - mit diesen Worten malte Nana Göbel ein sprechendes Bild von den historischen Ereignissen des vergangenen Jahrhunderts bis zur heutigen Zeit vor uns hin. Die Geschehnisse erschienen durch den Zeitstrom, der uns aus der Vergangenheit kontinuierlich in die Zukunft führt. Nana machte uns aufmerksam auf Zeitintervalle, in der Kriege und andere einschneidende Ereignisse stattfanden. Ein solches Ereignis war auch die Frage Emil Molts 1919 an Rudolf Steiner um eine Schule für die Kinder der Mitarbeiter der Waldorf Astoria Fabrik in Stuttgart.
Die Antwort kam durch Rudolf Steiner aus dem Zukunftsstrom. Nur aus diesem diskontinuierlichen Strom kann die Schulgründung, der Festakt in der geistigen Welt verstanden und verwirklicht werden. Die allgemeine Menschenkunde kommt uns aus der Zukunft entgegen. Das ist auch der Grund, dass wir sie immer neu kennenlernen können, und wir sie nicht einfach haben!
Nana berichtete weiter von Schulgründungen weltweit aus der Kronos-perspektive. Sie blieb aber nicht dabei stehen, sondern wagte einen Blick in die Entwicklungsperspektiven der kommenden hundert Jahre. Dabei beschrieb sie drei Felder von Herausforderungen, die auf die Menschheit zukommen werden.
1. Feld : Verlust des öffentlichen Raumes, Terroranschläge schaffen Angst. Menschen schliessen sich ab vom gemeinsamen Raum, Rückzug in die eigene Welt, eine pseudoprivate Welt.
2. Feld : die Okkupation der Welt durch einige wenige Riesenunternehmen, Machtkonzentration - eine vom Bürger unbeeinflussbare Kapitalmacht. Bedürfnis nach Altbekanntem wie Nationsgrenzen und Nationalstaat, Antiglobalisierung.
3.Feld Angriffe auf die Imaginationsfähigkeit des Menschen. Diese wird angebunden ans Netz durch die endlose virtuelle, auch gewaltvolle Bilderflut. Das Lesen und Erarbeiten von Textmaterial wird immer schwieriger. Das Seelenleben wird von außen gesteuert.
Tendenzen zu diesen möglichen Szenarien sind weltweit schon spürbar. Im Gespräch wurde der Frage nachgegangen wie wir unsere Kinder vorbereiten um weiterhin eigene Gefühle entwickeln, die eine individualisierte Intelligenz und Selbständigkeit ermöglichen. Dafür brauchen wir Mut, dem Mainstream entgegen zu treten.
Was uns aus dem Strom der Zukunft entgegen kommen kann, hängt von unseren Fragen und Initiativen ab.
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Claus Peter Röh vertiefte das Thema der zwei Zeitströme mit Perspektiven aus dem 9. Vortrag der Allgemeinen Menschenkunde. Er skizzierte die Möglichkeit den Menschen neu zu denken, um erfahren zu können wie tote Begriffe oder lebendige Gedanken im heranwachsenden Menschen wirken und ihn gestalten.
Claus Peter formulierte eine Forschungsfrage an uns Pädagogen: Was können wir durch unser Denken verändern, wenn wir seine Kraft bis in den Willen wirken lassen und sehen, was sich dadurch im Unterrichten verwandelt ? Wir wissen aus der Hirnforschung, dass die Gedanken des Lehrers schon erfahrbar sind vom Kind noch bevor er begonnen hat zu sprechen. Können wir im Gedankenleben die persönliche- von der Weltseite unterscheiden?
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Seit zwei Jahren beschäftigt sich die Konferenz mit dem Thema Oberstufe. Michael Zech knüpfte an das Thema des Vergangenheits- und Zukunftstromes an und teilte eindrückliche Forschungsresultate aus der Neurowissenschaft über die Veränderungen im Hirn von etwa 12-Jährigen mit uns. Im Nachhinein sehe ich, dass ich so hingebungsvoll zuhörte und daher ein detallierter Bericht nicht möglich ist. Zum Glück ist diese Studie von Michael Zech im deutschen Lehrerrundbrief publiziert und kann als Pdf. heruntergeladen und darf auch übersetzt werden.
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Auch weitere Themen fügten sich passend in die Sitzungseinheiten. So hörten wir von Philip Reubke von der internationalen Kindergartenbewegung und Aktionsforschung über den Wert des Schlafes der kleinen Kinder.
Florian Osswald aktualisierte das Übungsfeld vom bewussten Einschlafen und Aufwachen. Im Rundbrief der Pädagogischen Sektion (58, 59 und 60) sind bereits Texte dazu von ihm erschienen.
Henning Kullak-Ublick stellte spannende Szenarien und Pläne für Events zum 100-jährigen Jubiläum der Waldorfschule in 2019 vor. So z. B. die weltumspannende Postkarteninitiative: alle Schulen weltweit erhalten adressierte Postkarten und senden diese dann individuell gestaltet allen Schulen mit Grüssen kreuz und quer durch die Welt zu.
Auf der Homepage waldorf 100 finden sich alle Informationen von Projekten in Planung und schon Gestarteten wie z. B. das Bienenprojekt. Der Bund der Waldorfschulen in Deutschland unterstützt diese Aktionen kraftvoll und grosszügig.
Alle nahmen wir schöne Erinnerungen mit von den schönen und gepflegten Schulgebäuden, von der Gastfreundschaft und Bewirtung, die uns zuteil kam; Gespräche mit Mitarbeitern und Lehrern der Scuola libera Novalis sowie kleine Geschmacksproben aus dem Unterricht wo wir z. B. kraftvolle Bothmergymnastik und Akrobatik erleben durften.
Somit verabschiede ich mich von der Internationalen Konferenz nach 18 Jahren Mitarbeit und danke für viele reiche Erlebnisse und Erfahrungen.
Regula Nilo Schulthess